Kapitel XI

Philipp II., der Duc d'Orleans, verlangte nach nassen Tüchern, nach Eiswasser mit Fruchtsaft, nach der kalten Limonade, die der Sonnenkönig so geliebt hatte. Er lag in seinem Schlafgemach, umringt von Saint Simon, John Law, Desmartes, d'Argenson und dem Bankier Samuel Bernard. Ihm war übel. Er behauptete, am Vorabend verdorbene Ware gegessen zu haben. Aber die leeren Flaschen unter seinem Bett erzählten eine andere Geschichte.

»Ist es wahr, dass die Menschen in den Straßen von Paris vor Freude singen und tanzen?«, fragte der Herzog mit matter Stimme und presste den nassen Lappen an die Stirn.

»Das Parlament wartet auf Sie, Monsieur le Duc«, drängte Desmartes.

»Ich bin jetzt Regent«, unterbrach ihn der Herzog mit einem gequälten Lächeln, »die Krone mag nun Louis' Urenkel tragen, der Duc d'Anjou, aber bis der Knirps erwachsen ist, sofern er dies jemals wird, regiere ich Frankreich.«

»Sie wollen hoffentlich nicht etwa andeuten, dass dem jungen König etwas zustoßen könnte?«, bemerkte d'Argenson gelassen. »Oder ist Homberg etwa wieder in der Stadt?«

»Sie vergessen den Duc de Maine«, meldete sich Saint Simon zu Wort. Er sprach hektisch, mit leiser, konspirativer Stimme: »Der König soll in seinem Testament verfügt haben, dass der Duc de Maine dem Duc d'Orleans zur Seite gestellt wird.«

»Ein solches Testament würde mich zur Marionette machen!«, ereiferte sich der Herzog und tauchte seinen Kopf in einen Holzzuber kalten Wassers, trank daraus, gurgelte, spuckte Wasser auf den Fußboden: »In einer Stunde werde ich im Parlament sprechen. Man möge meine Karosse bereitstellen.«

Samuel Bernard kniete vor dem Herzog nieder und sprach eindringlich auf ihn ein: »Das Parlament kann das Testament für ungültig erklären. Drängen Sie es dazu. Das Parlament hat es schon einmal getan. Beim Tode von Louis XIII. Sie müssen den Duc de Maine loswerden. Diesen Bastard.«

In der Tat war der Duc de Maine eines der unzähligen unehelichen Kinder des Königs. Die Bastarde des Königs bildeten eine Kaste für sich.

»Das Parlament wird Konzessionen wollen«, warf Desmartes ein, »geben Sie dem Parlament seine Rechte zurück, die Louis XIV. ihm g enommen hat.«

Der Duc d'Orleans ließ sich von seinen Dienern einkleiden. Nun war er hellwach und konnte seinen Auftritt im Parlament kaum erwarten: »Das Parlament kann haben, was Louis XIV. ihm genommen hat. Wenn es dafür das Testament annulliert!«

Desmartes und d'Argenson verließen den Raum. Draußen im Salon warteten bereits an die hundert Menschen. Sie drängten, zum Duc d'Orleans vorgelassen zu werden, und der Herzog machte den Dienern Zeichen, die Tür schnellstens wieder zu schließen.

»Das war doch hoffentlich die richtige Entscheidung«, grinste der Duc d'Orleans und wechselte Blicke mit Saint Simon, John Law und Samuel Bernard.

»England ist daran nicht zugrunde gegangen«, entgegnete John Law, »die Zeit der Kriege ist vorbei. Wir brauchen nicht nur eine Revolutionierung der Finanzsysteme, sondern auch ...«

»Ja, ja«, unterbrach ihn der Herzog, »Sie kriegen Ihre Bank, Monsieur Law.«

»Wollen Sie Frankreich vollends ruinieren?«, ereiferte sich der ansonsten so ruhige Bankier Samuel Bernard.

»Wenn Frankreichs Schulden halbiert werden, sind Sie ruiniert, Monsieur Bernard. Aber Sie sind nicht Frankreich, Sie sind lediglich einer der größten Gläubiger unseres verstorbenen Königs. Und der ist tot!«

Der Duc d'Orleans eilte nun aus dem Zimmer und stürzte sich in den Salon, wo er mit großer Begeisterung empfangen wurde.

»Ich werde Ihre Idee bekämpfen, wo immer ich kann, Monsieur Law«, sagte Samuel Bernard.

Law verbeugte sich knapp vor dem Bankier und flüsterte leise: »Womit denn, Monsieur? Wollen Sie sich duellieren?«

 

Es war bereits nach Mitternacht. Doch der Grand Palais erstrahlte wie am helllichten Tag. Tausende von Kerzen hatte man angezündet. Ihr Flackern wurde in den zahlreichen mannshohen Wandspiegeln ins Unendliche vervielfacht. Die Damen trugen Diamanten, Gold, das Haar mit Edelsteinen verziert, prunkvolle Gewänder. Sie leuchteten wie göttliche Gestalten. Die Dekolletees waren sündhaft tief, die Busen üppig zur Schau gestellt. Galante Kavaliere umschwärmten sie, buhlten um ihre Aufmerksamkeit. Und inmitten dieser Lichtgestalten versuchte sich der Duc d'Orleans, der neue Herrscher über Frankreich, der offizielle Regent, mühsam auf den Beinen zu halten.

»Monsieur le Regent«, lächelte der Duc d'Orleans, »hat eine Entscheidung getroffen.«

Seit heute Morgen sprach er von sich genussvoll in der dritten Person. »Er bleibt in Paris. Er wird die Regentschaft in Paris ausüben. Adieu Versailles.«

Ein übertriebenes Raunen erfüllte den Saal.

»Ich erspare den Mesdemoiselles«, grinste der Herzog, »die lange Fahrt nach Versailles.« Gelächter. Zustimmung. »Er wird ab sofort im Palais Royal residieren.«

Der Duc d'Orleans war sichtlich amüsiert und ließ sich kokett sein Glas nachfüllen: »Versailles ist total ... verpisst.« Durch die deftige Wortwahl des neuen Regenten erlaubten sich die Gäste nun lautere Bemerkungen der Zustimmung und Bewunderung. Es wurde gelacht und applaudiert. »Versailles ist fünfzig Jahre lang vollgepisst worden. Es wird Jahre dauern, bis es gesäubert ist. Sie können also Ihre übel riechenden, feuchten und kalten Wohnungen in Versailles aufgeben und wieder zurückkehren in die geheizten und geräumigen Landhäuser und Stadtpaläste.« Die anwesenden Gäste applaudierten lautstark. »Der König ist tot, Mesdames, Messieurs, seine Sonne ist erloschen. Ich habe heute Morgen nach der Parlamentssitzung beschlossen, ein neues Regierungssystem einzuführen. In Zukunft steht mir ein Ratskollegium beratend zur Seite. Den Duc de Noailles habe ich zum Vorsitzenden des Finanzrats ernannt.«

»Und Desmartes?«, fragte jemand bekümmert.

»Desmartes?«, antwortete der Duc d'Orleans erstaunt und schaute theatralisch in die Runde. »Ich habe ihn doch nicht etwa aus Versehen zu den Galeeren geschickt?«

Zur selben Zeit brannten in Versailles nur noch wenige Lichter. Vor den Toren hatten sich im Schutze der Dunkelheit zahlreiche Menschen versammelt. Einfaches Volk, Handwerker, Tagelöhner, Bauern, Männer, Frauen und Kinder. Sie schimpften und ließen ihrem Unmut freien Lauf. Die Tatenlosigkeit der Wachen feuerte sie nur noch mehr an. Nun warfen sie Steine und brennende Fackeln gegen die Tore. Einige zielten mit Steinschleudern auf die Wachen.

Zunehmend betrunken begannen sie, Spottverse zu singen und vor den Toren von Versailles zu tanzen.

Im Schlafzimmer des Königs wurde die Leiche unter Anwesenheit von Chirurgen und Geistlichen geöffnet. Sorgfältig wurde das Herz des Königs herausgetrennt und in ein Gefäß gelegt. Dann wurden die Leber und die Nieren entfernt. Auch sie bekamen ihre eigenen Urnen. Die Gefäße wurden luftdicht verschlossen. Manchmal explodierten solche Gefäße aufgrund der Gase, die sich bildeten. Man ließ größte Vorsicht walten, um ein solch unwürdiges Schauspiel zu vermeiden.

 

Seine Königliche Hoheit, Monsieur le Regent, Philipp II., Duc d'Orleans, beliebte zu feiern. Er war der Ansicht, den Anlass noch nicht gebührend begangen zu haben. Er lud ein, und Paris kam. John und Catherine fanden immer weniger Gefallen an solchen Feierlichkeiten, die bis in die frühen Morgenstunden dauerten. Auch an jenem Tag hatte der Duc d'Orleans mit viel Heiterkeit den Abend begonnen und lag nun, wo es draußen schon hell wurde, schnarchend auf einem Sofa.

John saß mit Catherine neben dem großen Kaminfeuer und unterhielt sich mit Saint Simon, den die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen sehr bewegt hatten. Er war sogar ein wenig betrübt. Aber nicht der Tod des Sonnenkönigs machte ihm zu schaffen, sondern die Frage, ob er nun in seinen Tagebüchern noch eine besondere Würdigung einfügen oder auf spezielle Themen gerichtete Rückblicke schreiben sollte. Wie viele Schriftsteller war er auf einem hohen intellektuellen Niveau degeneriert und empfand mehr Emotionen beim Schreiben seiner Tagebücher als beim Erleben von realen Tragödien in seiner unmittelbaren Umgebung. Nach einigen Gläsern Wein, und die hatte er bereits im Blut, neigte er zu Pathos und Larmoyara und konnte mit strenger Stimme moralisieren und verurteilen, obwohl es ihn herzlich wenig gekümmert hätte, wenn er auf dem Nachhauseweg Zeuge geworden wäre, wie eine alte Frau im Straßenkot ausgeglitten wäre und sich das Bein gebrochen hätte, oder wenn er mit angesehen hätte, wie eine verzweifelte junge Mutter ihr Neugeborenes in die Seine geworfen hätte.

»Ihr seht eine Art von wilden Tieren«, zitierte Saint Simon gestenreich den verstorbenen Historiker Jean de la Bruyere, »Männchen und Weibchen, auf dem Feld zerstreut. Sie sind schwarz und fahl, sonnenverbrannt und zur Erde gebeugt, die sie mit nicht erlahmender Hartnäckigkeit umgraben und durchwühlen. Sie besitzen so etwas wie eine artikulierte Stimme, und wenn sie sich aufrichten, zeigen sie ein menschliches Gesicht. Und siehe, es sind Menschen.«

Einige Gäste waren stehen geblieben und lauschten Saint Simon. Einige ließen ihren Tränen freien Lauf. Doch es war nur der Alkohol und der mangelnde Schlaf, der sie melancholisch und rührselig werden ließ. Saint Simon hielt inne und schaute mit inbrünstig gespielter Betroffenheit in die Runde.

»Wo bleibt da die Gerechtigkeit?«, fragte er.

»Es gibt keine Gerechtigkeit, Duc de Saint Simon«, entgegnete Catherine, »ich wurde als Frau geboren, Sie wurden als Mann geboren, wo bleibt da die Gerechtigkeit? Der eine wird blind geboren, der andere stirbt im Kindesalter. Einer verliert im Krieg ein Bein, ein anderer der Verstand. Es gibt keine Gerechtigkeit, und jene Fantasten, die von Gerechtigkeit sprechen, meinen ausschließlich die finanzielle Gerechtigkeit. Es ist nichts anderes als versteckter Neid, Monsieur le Duc.«

»O, Madame, meinen Sie etwa, man solle die Gerechtigkeit nicht mal anstreben?«

»Nicht einmal Gott ist dazu fähig«, meldete sich der Duc d'Orleans mit rauer Stimme zu Wort, »sonst hätte er meinen Onkel, den König, wohl kaum siebenundsiebzig Jahre lang leben lassen.«

John Law ärgerte sich insgeheim über den erbärmlichen Zustand des Regenten, ließ sich aber nichts anmerken: »Sie können keine Gerechtigkeit erwirken, aber Sie können gerechte Bedingungen für die Menschen schaffen. Das können Sie. Und das sollten Sie anstreben. Sie können den Menschen Arbeit ermöglichen, Einkommen, Besitz, eine Aussicht auf ein besseres Leben. Aber dafür braucht Frankreich eine Nationalbank. Eine Nationalbank, die die Geldmenge erhöht, kann mehr für die Menschen tun als ein Montesquieu mit seinen Schriften.«

Saint Simon blickte gedankenversunken dem Duc d'Orleans nach, der auf ein großbusiges Mädchen mit Wespentaille zuging.

»Was steht Ihrer Bank noch im Wege, Monsieur Law? Desmartes ist entlassen«, sagte Saint Simon.

»Desmartes ist gegangen, der Duc de Noailles ist gekommen. Es bleibt alles beim Alten.«

»Vertrauen Sie mir, Monsieur Law. Der Regent hat mir die Ehre erwiesen, seinem Ratskollegium beitreten zu dürfen. Ich werde meinen Einfluss geltend machen und Ihnen bereit« morgen eine Audienz beim Duc de Noailles ermöglichen.«

Das schallende Gelächter des Duc d'Orleans unterbrach alle Gespräche. Plötzlich wurde es still im Saal. Alle Augen waren auf den Regenten gerichtet. Er hatte das Dekolletee einer Mademoiselle zerrissen. Nun liebkoste er ihre Brüste und drängte die junge Frau gegen den Tisch. Sie warf ihren Oberkörper zurück, Gläser stürzten um, Geschirr fiel klirrend zu Boden.

»La Parabere«, flüsterte Saint Simon, »die neue Mätresse des Regenten.«

Saint Simon warf John Law einen Blick zu.

»Sehen Sie«, sagte Catherine leise, »selbst wenn Sie Gerechtigkeit verordnen und die Menschen mit Geld und Talenten beschenken würden, der eine würde daraus etwas machen, und der andere würde es nur sinnlos verschwenden. Und erneut nach Gerechtigkeit rufen.«

»O«, entfuhr es Saint Simon, »falls eines Tages dampfbetriebene Maschinen dem weiblichen Geschlecht jegliche Arbeit abnehmen ... kaum zu erahnen, was da auf uns zukommt...«

Catherine lächelte höflich, während sich John Law beherrschen musste, um nicht ausfallend zu werden:

»Aber wenn Manufakturen Dampfmaschinen in großer Zahl bauen sollen, werden sie eine Bank brauchen, die Produktionskredite vergibt. Ohne Kreditwesen ist kein Fortschritt möglich.« John schaute Saint Simon eindringlich an. Doch dieser starrte verstohlen auf den Duc d'Orleans, der schwankend vor seiner halb nackten Mätresse stand und plötzlich wie ein Sack Mehl zu Boden sank.

 

Als John im Morgengrauen mit Catherine an der Place Louis-le-Grand vorfuhr, stand der Platz bereits in Flammen. Polizisten schossen in die Menge. Einige hatten die Reiterstatue erklommen und versuchten, dem steinernen König den Kopf abzuschlagen. Jemand riss die Tür der Kutsche auf. Er stieß eine brennende Fackel hinein. John beförderte sie mit einem Fußtritt wieder nach draußen und zog seinen Degen. Die Kutsche wurde angehalten. Geistesgegenwärtig sprangen John und Catherine heraus und eilten zu ihrem Haus. Von allen Seiten wurden sie von der aufgebrachten Menge bedrängt. In Stofffetzen umwickelte Hände griffen nach ihren Kleidern. Einige versuchten sie zu treten, zu schlagen. John fuchtelte mit seinem Degen nach allen Seiten, während er Catherine eng an seiner Seite hielt. Jetzt traf er den Ersten am Arm, dem Nächsten riss er eine blutige Schramme über die Wange, einer erhielt einen Stich in den Oberschenkel. John Law war überzeugt, dass er es schaffen würde. Schritt für Schritt kämpfte er sich zu seinem Haus vor. Catherine hatte sich mit Johns Dolch bewaffnet und stach blitzschnell nach jeder Hand, die sich an ihr vergreifen wollte. Der Abstand zur Meute wurde größer. Die heftige Gegenwehr dieses groß gewachsenen Schotten schien die Leute einzuschüchtern. Plötzlich blieb John Law stehen und schrie: »Wer will sich mit mir messen? Ich fordere jeden Einzelnen von euch zum Duell auf!« Die Umstehenden hielten inne. Keiner hatte den Mut, allein gegen John Law vorzugehen. Die Dienerschaft, die die Szene offenbar hinter den Fenstern beobachtet hatte, rannte nun bewaffnet nach draußen und bildete eine Linie, hinter der Catherine rasch in Sicherheit war. Mittlerweile waren auch Polizisten vor dem Haus der Laws aufmarschiert.

»Tod dem Regenten«, skandierte die Menge.

Wenig später saßen Catherine und John Law im Salon zu Tisch und schauten den beiden Kindern beim Essen zu. Draußen tobte immer noch eine erbitterte Straßenschlacht. Beide Seiten hatten sich verstärkt.

»Wollt ihr Paris verlassen?«, fragte John und schaute Catherine und anschließend die beiden Kinder an. Die zehnjährige Kate schaute zu ihrem älteren Bruder. Dieser zuckte die Schultern und warf seiner Mutter einen prüfenden Blick zu.

»Wir haben keine Angst, Madame«, sagte John junior.

»Wir haben wirklich keine Angst, Madame«, wiederholte Kate.

»Hast du nicht immer gesagt, dass Frankreich erst dann deinem Bankenprojekt zustimmen wird, wenn Paris brennt?«, fragte Catherine.

»Ja«, murmelte John und atmete tief durch, »der neue Regent hat so viele Talente, er besitzt so viel Macht. Er könnte mehr schaffen als ein Gott auf Erden.«

»Aber er hat keine Disziplin, Monsieur«, sagte John junior und blickte für seine elf Jahre ziemlich altklug über den Tellerrand, »ohne Disziplin ist jedes Talent wertlos.«

»Und er steht wie eine Weide im Wind«, gluckste Kate, »aber nur die Eiche hat Bestand.« John und seine Schwester Kate begannen laut zu lachen.

»Ich gebe dem Regenten noch vier Wochen. Wenn er bis dann seinen Rausch nicht ausgeschlafen hat, verlassen wir Paris«, sagte John Law.

 

Als John Law einige Wochen später in Begleitung von Saint Simon in einer Kutsche zum Grane Palais fuhr, lieferten sich aufgebrachte Menschen und Polizisten vor dem Palast des Regenten heftige Gefechte. Beim Anblick der Kutsche unternahmen berittene Gardisten einen Ausfall, bahnten sich einen Weg durch die Menge und eskortierten die herannahende Kutsche bis in den Innenhof des Palais.

John Law und Saint Simon stiegen aus und eilten ins Gebäude, während über ihren Köpfen Steine und faules Obst hinwegflogen und an der Mauer des Palais abprallten.

»Monsieur le Duc legt eine verblüffende Geschwindigkeit an den Tag. Es ist unglaublich, wie schnell er dieses neue Verwaltungs- und Regierungssystem entwickelt hat. So oft ist er doch gar nicht nüchtern.«

»Und Sie sind immer noch Teil dieses Beratergremiums?«, fragte John Law skeptisch.

»Ganz recht, Monsieur«, entgegnete Saint Simon mit gespielter Bescheidenheit - er platzte beinahe vor Stolz. »Der Regent verfügt nun über ein Kollegialsystem, an dessen Spitze er den Conseil de Regence als beratendes Organ installiert hat. Diesem beratenden Organ sind seit neuestem sechs Räte unterstellt, die Departements für Äußeres, Kriegsführung, Finanzen, Marine, Inneres und religiöse Fragen.«

»Und dieser Noailles ersetzt tatsächlich Desmartes?«

Eilig stiegen sie die weit schwingende Treppe zum Obergeschoss empor.

»Noailles ist immerhin ein Neffe Colberts. Er ist zwar erst siebenunddreißig, aber er verfügt über ein hohes Maß an Intelligenz ...«

»Sie kennen doch meine Ansichten, Duc de Saint Simon«, lächelte John Law, »Intelligenz ist wertlos, wenn sie nicht flankiert wird von Disziplin, Ausdauer und Moral.«

»Nicht einmal Gott verfügt über derartige Qualitäten«, amüsierte sich Saint Simon, »aber Sie mögen Recht haben. Man sagt Noailles nach, dass er sich nie entscheiden kann. Er ist ein Zauderer, ein schrecklicher Zauderer. Wäre er Chirurg, jeder Patient würde vor seinen Augen verbluten.«

»Ich kenne diese Sorte Mensch von den Spieltischen. Die Intelligentesten verlieren genauso viel wie die Dümmsten.«

Zwei Diener öffneten die Türen zum großen Regierungssaal. In der Mitte dominierte ein großer Tisch mit zahlreichen Getränken. D'Argenson und der Bankier Samuel Bernard waren bereits da. Kaum hatten John Law und Saint Simon den Raum betreten, erklang der Ruf: »Le Regent! Monsieur le Due d Orleans.«

Mit energischen Schritten betrat der Herzog den Saal, gefolgt vom kurzatmigen und untersetzten Noailles, der dem dynamischen Schritt des Regenten kaum folgen konnte.

»Wir haben heute Monsieur John Law of Lauriston, den ich den Anwesenden nicht weiter vorstellen muss, eingeladen, damit er uns sein überarbeitetes Bankenprojekt erklären kann. Im Anschluss wird er uns für Fragen zur Verfügung stehen.« Der Herzog setzte sich und forderte die Anwesenden auf, es ihm gleichzutun. Er wirkte frisch und voller Tagendrang: »Monsieur le Duc de Noailles, den aktuellen Finanzbericht.«

»Darf ich offen sprechen, Duc d'Orleans?«, fragte Noailles.

Der Herzog nickte, er hatte bereits von seinem Onkel gelernt, durch Reduktion der Sprache das Gewicht des Gesagten zu erhöhen.

»Frankreich ist bankrott, meine Herren.«

Die Anwesenden schienen nicht sonderlich überrascht. Sie hatten heute Morgen alle wunderbar gefrühstückt, und wenn sich ein bankrotter Staat so anfühlte wie heute Morgen, war das nicht das schlimmste aller Ereignisse.

»Sparen Sie sich Ihre Worte, Monsieur, wir wollen Zahlen hören«, entgegnete der Duc d'Orleans knapp.

»Die Staatsschulden belaufen sich auf zwei Milliarden Livre, oder genauer: auf 2 062 138 000. Die jährlichen Schuldzinsen betragen zurzeit neunzig Millionen, also rund fünf Prozent. Die Steuereinnahmen der nächsten vier Jahre sind bereits aufgebraucht. Es kommen kaum noch Steuern beim Staat an, weil unser Steuersystem verfault und korrupt ist. Schuld sind die Finanziers, die uns die Ämter und Hoheitsrechte zur Steuereintreibung abgekauft haben, exorbitante Steuern bei der Bevölkerung eintreiben und uns nur Almosen abführen. Obwohl diese Blutsauger dem Volk immer mehr Steuern abpressen, kriegt die Krone immer weniger.« Er blickte finster zu Samuel Bernard, der keine Miene verzog.

»Zahlen, Zahlen, Zahlen, Noailles ... Ich habe Sie nicht ins Richteramt berufen.« Der Duc d'Orleans war ganz offensichtlich in Hochform. Er musste sich eine ganze Menge vorgenommen haben.

»Die täglich eintreffenden Rechnungen sind kaum noch zu bewältigen, Monsieur le Duc, die Zahlungsrückstände derart enorm, dass man sie kaum noch beziffern kann. Wir haben die Einnahmen der Zukunft längst ausgegeben. Wir haben die Zukunft Frankreichs vergeudet. Es ist das Beste für alle, wenn Frankreich den Bankrott erklärt. Dann fangen wir neu an.«

»Nein«, sagte der Duc d'Orleans, »Frankreich bankrott zu erklären, das kommt nicht infrage, Messieurs.«

»Aber Frankreich ist bankrott, Monsieur, ob wir es nun erklären oder nicht«, setzte Noailles nach.

Der Duc d'Orleans zeigte auf John Law: »Monsieur? Können wir mit einer Staatsbank, so wie Sie sie entworfen haben, Frankreich vor dem Bankrott retten?«

»Ja«, antwortete John Law mit fester Stimme, »eine Staatsbank wird durch die Ausgabe von Papiergeld umgehend die Geldmenge erhöhen und so den Handel ankurbeln.«

»Wozu eine Bank?«, unterbrach Samuel Bernard. »Diese Funktion nehmen bereits die Finanziers der Krone wahr. Monsieur Law will die hochverdienten Finanziers der Krone durch eine Staatsbank ersetzen. Cui bono? Wer profitiert davon, Monsieur? Sie vielleicht, Monsieur Law? Aber nicht die Krone.«

»Und wer trägt das Risiko?«, fügte Noailles hinzu. »Der Staat und nicht Monsieur Law of Lauriston.«

Der Duc d'Orleans warf John Law einen ungeduldigen Blick zu, doch Noailles setzte nach:

»Es wäre wohl auch sehr schwierig, dem Parlament das Bankenprojekt eines Protestanten zu verkaufen, eines englischen Protestanten.«

»Noailles!«, herrschte ihn der Regent an. »Ich bin heute nicht aufgestanden, um mit Ihnen Dinge zu diskutieren, die angeblich nicht möglich sind.« Der Regent erhob sich und verließ mit energischem Schritt den Saal.

 

Hunderte von zerlumpten Gefangenen verließen die Bastille und wurden draußen von einer johlenden Menge empfangen. Sie wirkten scheu, verunsichert.

Die meisten ertrugen das grelle Tageslicht nicht und blieben im Schatten der Mauern stehen. Doch die Menge zerrte sie auf die Straße, hob sie auf die Schultern und führte sie vor, als hätten sie einen Sieg errungen. »Vive le Regent«, skandierte die Menge, »vive Philipp d'Orleans!«

Philipp hörte von den Hochrufen am östlichen Rand der Stadt nichts. Er saß in seinem Arbeitszimmer im Palais Royal und annullierte einen lettre de cachet nach dem anderen.

»Es sind tausende, Monsieur Law, tausende von Menschen, die ohne Gerichtsverfahren seit Jahrzehnten in diesen Gemäuern vegetieren«, sagte der Herzog und blickte kurz auf. Zwei Staatssekretäre reichten ihm weitere Dokumente. Ihre Worte waren stets die gleichen:

»Ohne Anklage. Vergehen unbekannt.«

Der Herzog nahm einen der lettres de cachet. »Sehen Sie hier: Ein Unglücklicher aus Marseille, er saß fünfunddreißig Jahre, stellen Sie sich das mal vor, eine ausgezeichnete Gesundheit, fünfunddreißig Jahre, er bat die Wächter, ihn wieder hineinzulassen, weil er draußen niemanden mehr kennen und sich nicht mehr zurecht finden würde.«

Der Herzog war bestens gelaunt. Sein ehemals aufgedunsenes Gesicht war straff und von gesunder Farbe. Er signierte und annullierte. Es fiel ihm durchaus auf, dass John Law kein Interesse für seine Geschichten hatte: »Sie sind erneut wegen Ihrer Bank hier, Monsieur Law?«

John nickte.

»Das Parlament will keine Bank, Monsieur. Ich bedaure. Voilá. C'estga, c'esttout.«

John Law hatte größte Mühe, seine Enttäuschung und Wut zu verbergen. Aber er wollte die Beherrschung nicht verlieren.Verlor er sie, machte er es dem Herzog zu einfach, sich seinerseits zu ereifern. Er stand auf und bedankte sich mit einer knappen Verbeugung für die Antwort des Regenten.

»Ich verstehe Ihre Enttäuschung, Monsieur Law«, sagte der Regent mit energischer Stimme, »aber ich brauche das Parlament. Die spanische Krone erhebt Anspruch auf den französischen Thron. Philipp V. von Spanien wittert Morgenluft. Er ist immerhin ein Enkel von Louis XIV., also nicht ganz ohne Aussichten auf Erfolg. Er lässt verbreiten, dass er Anspruch auf die französische Krone hat. Er intrigiert beim Parlament. Ich brauche das Parlament, Monsieur.«

Der Regent hielt einen Augenblick inne. John Law schwieg. Ihm fiel auf, dass der Regent sein kokettes Gehabe ganz abgelegt zu haben schien. Der Herzog war kaum wiederzuerkennen. Erneut fiel John Law auf, wie schmal das Gesicht des Regenten geworden war. Er musste seit einigen Wochen dem Alkohol abgeschworen haben. Der Regent blickte kurz hoch und schien erstaunt, dass John Law immer noch dastand.

»Ohne Parlament werde ich schon morgen abgelöst, und Ihr Bankenprojekt können Sie für Ihre Memoiren aufsparen. Ich brauche das Parlament, voilá, es sichert meine Regentschaft, und als Gegenleistung gewährte ich dem Parlament wieder die alten Rechte. Vergessen Sie bitte nicht: Ohne Parlament wäre es nicht möglich gewesen, das Testament von Louis XIV. zu annullieren. Dieses Testament hätte mich zur Marionette degradiert. Ich hätte nicht einmal die Befehlsgewalt über die Armee gehabt. Jetzt habe ich meinen Aufpasser, den Duc de Maine, zur Marionette degradiert. Er ist um die Ausbildung des kleinen Königs besorgt, und ich regiere Frankreich, Monsieur Law. Das ist der Handel. Ich habe Prioritäten gesetzt. Es tut mir wirklich Leid, Monsieur.«

John Law war beeindruckt, dass ein derartiger Lebemann wie der Duc d'Orleans, den man in der Vergangenheit kaum noch nüchtern angetroffen hatte, in so kurzer Zeit die Situation erkannt und zu seinen Gunsten manipuliert hatte. John Law sah ein, dass sein Bankenprojekt kaum noch Bedeutung hatte, verglichen mit den Bemühungen des Regenten, seine Herrschaft auf längere Sicht zu sichern.

»Ich bedanke mich für Ihre Ausführungen, Monsieur le Duc«, entgegnete John Law höflich. »Ich weiß Ihre Worte zu schätzen, zumal ich mir bewusst bin, dass Sie mir keinerlei Rechenschaft schuldig sind. Dennoch möchte ich zu bedenken geben, dass die Einführung einer Bank, die Kredite auf zukünftige Leistungen gewährt, einer Nation mehr einbringt als alle Kriege der letzten fünfzig Jahre. Ja, eine Bank, die Kredit vergibt, ist von größerem Nutzen als die Entdeckung Westindiens.«

Der Duc d'Orleans unterschrieb eilig weitere Annullierungen.

»Der Nutzen von Banken«, fuhr John Law fort, »ist in allen Handelsnationen heute so anerkannt, dass es mir ungewöhnlich vorkommt, dass er durch Ihre Berater infrage gestellt wird Holländer, Schweden, Italiener, Engländer ... Monsieur! Frankreich verliert den Anschluss an die neue Zeit!«

»Die Audienz ist beendet, Monsieur Law«, sagte der Regent mit energischer Stimme. Er sah nicht von seinem Schreibtisch auf.

 

John Law verteilte wie in alten Zeiten die Karten. Seit seinem letzten Besuch beim Regenten waren einige Wochen vergangen. Die Gesellschaft im Salon von Antoine Crozat, Marquis du Chätel, war lauter, schriller, fröhlicher, als sie jemals zu Zeiten des Sonnenkönigs gewesen war. Und im gleißenden Licht von tausenden von Kerzen schien der Saal noch greller und heller als je zuvor. Zahlreiche Mädchen, barbusig und braun gebrannt wie Bäuerinnen, notdürftig mit Lendenschürzen bekleidet und mit buntem Federschmuck im pechschwarzen, schulterlangen Haar, amüsierten sich mit den Kavalieren, Prinzen und Gästen des Hausherrn. Geschmeidig bewegten sie sich inmitten der Gäste, die unter ihren dichten Allongeperücken schwitzten und nach reichlichem Alkoholkonsum in ihren dicken Gewändern zu ersticken drohten.

Der große Crozat saß an John Laws Seite am Pharao-Tisch. Mit seiner imposanten Körperfülle war der sechzigjährige Finanzier kaum zu übersehen. Antoine Crozat war eine Legende. Man nannte ihn Crozat le Riehe, Crozat den Reichen.

»Ich hörte, Sie interessieren sich für Kunst, Monsieur Law«, begann Crozat die Konversation während er einen Stapel Louisdor auf den Pikkönig setzte. Er legte die Goldmünzen nicht auf eine Spielkarte aus dickem Papier, sondern auf das mit Goldfaden gestickte Motiv des Pikkönigs, das wie alle übrigen einundfünfzig Karten auf dem grünen Tischteppich eingestickt war. Er schob die Louisdor über den Tisch, als gelte es, lästige Brotkrümel wegzuwischen. Crozat trug eine schulterlange grauweiße Perücke, die das ovale, schwammige, bleiche Gesicht noch fetter erscheinen ließ.

»Nicht nur für Kunst, Marquis, mein Interesse gilt neuen finanzpolitischen Instrumenten zur Sanierung des Staatshaushalts.«

Antoine Crozat lächelte: »Wenn Sie das Staatsdefizit abtragen wollen, müssen Sie die Monarchie abschaffen.«

John Law warf dem Marquis einen Blick zu, um zu überprüfen, ob er scherzte. Der Marquis verlangte nach einer weiteren Karte, verlor und setzte erneut.

»Aber selbst wenn Sie die Monarchie abschaffen und die Herrschaft des Pöbels im Sinne von Aristoteles einführen würden, der Staat würde über kurz oder lang im Staatsdefizit versinken.

Es gibt stets mehr Menschen, die Wünsche haben, als Menschen, die diese mit ihren Steuerabgaben erfüllen können. Und menschliche Schwäche und Disziplinlosigkeit sind nicht das Privileg von Königen, es ist die menschliche Natur.«

Crozat bezog erneut Karten und setzte. Die anderen Gäste am Tisch lauschten aufmerksam seinen Worten: »Ich war in Louisiana, in der Neuen Welt, Monsieur Law, ich bin wilden Indianerstämmen begegnet, die möglicherweise so leben, wie wir vor zweitausend Jahren gelebt haben. Und was stellen wir fest: Der Nutzen ist das Mark und der Nerv aller menschlichen Handlungen. Sie können das Tier im Menschen mit Moral, Strafgesetzen und Religion zügeln, eine Zeit lang, aber jeder Dompteur nutzt sich ab, wie jeder Vater und Fechtmeister sich im Laufe der Jahre abnutzt. Sie können etwas anstreben, sie müssen es anstreben. Aber sie werden es nie erreichen.«

»Wie groß ist Louisiana, Monsieur?«, fragte ein junger Adliger, den die philosophischen Bemerkungen des Marquis wenig interessierten.

»Es erstreckt sich über das gesamte Tal des Mississippi. Es umfasst den halben Kontinent von Amerika.«

»Sind die Bodenschätze tatsächlich so groß, wie behauptet wird?«, fragte John Law.

Crozat le Riehe dachte nach. Er verlangte nach einer neuen Karte und setzte weitere Louisdor: »Ich habe das exklusive Handelsrecht über die französischen Kolonien in Amerika vor drei Jahren von unserem verstorbenen König erworben. Wir haben viel investiert. Es gibt dort Gold, unendlich viel Gold. Man muss es nur bergen und nach Frankreich schiffen.«

»Er ist der reichste Mann der Welt«, lachte der Duc d'Orleans, »aber statt Gold bringt er junge Mädchen nach Paris.« Er näherte sich in Begleitung von zwei indianischen Mädchen dem Spieltisch. Seine Mätresse, La Parabere, beäugte gelassen das Treiben. Der Herzog reichte ihr einige Louisdor: »Setzen Sie auf die Herzdame, Madame, sie bringt mir Glück.«

La Parabere setzte die Summe.

»Monsieur Law«, sagte der Duc d'Orleans zu Crozat, »investiert auch in Kunst. Er kauft italienische Meister, aber«, fügte er hinzu und wandte sich nun an John Law, »Crozat le Riehe hat bereits über vierhundert Gemälde, und seine Bibliothek soll größer sein als die des Königs.«

Crozat winkte verlegen ab.

»Nicht so bescheiden«, scherzte der Regent, »ich habe gesehen, dass Sie unserem verstorbenen König über hundert Gemälde abgekauft haben.«

Crozat verhielt sich nun plötzlich sehr ruhig.

»Einige Minister sind darob sehr erbost, Monsieur«, lachte der Regent, »sie meinen, Sie hätten die finanzielle Notlage des Königs ausgenutzt.«

La Parabere verlor und schaute hilflos zum Regenten hinauf. Mit einem gespielten Seufzer des Bedauerns entfernte sich der Duc d'Orleans wieder vom Tisch. Ein Diener bot ihm Champagner an. Der Herzog lehnte entschlossen ab und verließ den Salon.

»Hätte ich mein Geld verschwendet und vergeudet wie Ihre verstorbene Majestät«, flüsterte Crozat, »ich hätte heute weniger Neider.«

»Klugerweise haben Sie jedoch Ihr Vermögen in Gemälden angelegt«, entgegnete Law zustimmend.

Crozat erwiderte die Höflichkeit Laws mit einem galanten Nicken: »Falls Sie eines Tages Ihre Bank gründen, Monsieur Law, denken Sie an Louisiana.«

John Law hielt für einen Augenblick inne. Dann verteilte er weiter Karten. Er schaute Crozat prüfend in die Augen.

Crozat schmunzelte: »Ich bin ein großer Befürworter Ihres Bankenprojektes, Monsieur Law. Seit über zehn Jahren verfolge ich Ihre Ideen. Ich liebe Menschen, die Ideen haben, die ein Ziel verfolgen.«

 

John Law saß am großen Eichentisch im Kaminzimmer und verteilte an seine beiden Kinder Papiergeld. Er hatte eigens für sie ein Brettspiel entwickelt. Die Kinder waren derart begeistert davon, dass sie keine anderen Brett- oder Kartenspiele mehr sehen wollten. Catherine saß mit dem Rücken zum Kamin und las. Kate und John junior würfelten, bewegten ihre Spielfiguren, kleine Büsten aus Bronze, über die Spielfelder und handelten mit Waren, die der Gärtner en miniature aus Holz geschnitzt hatte. Manchmal gab es entsetzte Schreie oder großes Gelächter. Catherine genoss die familiäre Atmosphäre. Und wenn John Law zu ihr aufschaute, strahlte sie übers ganze Gesicht.

»Ist es nicht seltsam«, sagte John nach einer Weile, »ich wollte eine Bank gründen, eine Nation verändern, die Welt der Finanzen revolutionieren, und jetzt sitze ich da und vergnüge mich an einem Spielbrett, das gerade mal drei Personen begeistert.«

Die Kinder kicherten.

»Du könntest Spiele erfinden, eine Manufaktur gründen, die Jetons herstellt, Brettspiele schreinert und bemalt«, lachte Kate. Sie hatte ein sonniges Gemüt und strotzte vor Gesundheit. Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der häufig kränkelte. »Du erfindest Spiele«, amüsierte sich Kate, »und wir prüfen die Spiele. Wir sagen dir, ob die Spiele lustig sind.«

»Nein, Kate«, sagte John junior mit ernster Stimme, »ich will Bankier werden.«

Catherine legte ihr Buch beiseite und berührte Johns Hand: »Du hast alles versucht, John. Vergiss Philipp von Orleans. Du bist ein erfolgreicher Bankier und einer der renommiertesten Kunsthändler der Gegenwart. In allen Salons bist du ein stets gern gesehener Gast...«

Plötzlich zuckte John Law zusammen und hielt sich mit beiden Händen den Oberbauch fest. Sein Kopf klatschte auf die Tischplatte. Die Kinder erstarrten.

»John?« Catherine war aufgesprungen. »John, was hast du? Soll ich nach dem Arzt rufen?«

»Nein!«, stöhnte John, »bloß keinen Arzt. Glaubst du, der Herzog würde einem kranken Mann die Staatsfinanzen anvertrauen?«

Er richtete sich wieder auf. Er lächelte seine beiden Kinder an: »Macht euch keine Sorgen. Das sind kleine Steine. Viel kleiner als Spielsteine. Die wandern durch den Körper. Und wenn es eng wird, verursachen sie Schmerzen. Aber das Leben geht weiter.«

Während die Familie Law sich zu Bett begab, erwachten die Straßen draußen zu gespenstischem Leben. Die Kälte des nahenden Winters trieb nicht nur Wölfe und Füchse in die Stadt, sondern auch Wegelagerer, Banditen, desertierte Soldaten. Es war eine neue Qualität des Brigantentums. Das soziale Elend hatte tausende von einst rechtschaffenen und fleißigen Menschen in die Kriminalität getrieben. In den frühen Morgenstunden hörte man Schreie, Pistolenschüsse, das Klirren von eingeschlagenen Fensterscheiben, sah man das Aufflackern von Feuern. Die Polizei hielt ihre Männer in den Garnisonen zurück. Es hatte keinen Sinn, sie nachts in den Tod zu schicken. Im Schutz der Dunkelheit geisterte die Anarchie durch die verwinkelten Gassen von Paris. Am Morgen fand man dann die Opfer der nächtlichen Streifzüge und Scharmützel, Männer und Frauen, erstochen, erdrosselt, erschlagen. Und überall, wo sich das Gesetz nicht mehr zeigte, uferte die Gewalt aus. Sie erinnerte an die übelsten Auswüchse der vergangenen Kriege. Doch in diesem Krieg gab es weder Fahnen noch Uniformen. Man kämpfte weder für die Ehre noch für eine Nation. Man kämpfte ums nackte Überleben. Man mordete nicht für ein Königreich, sondern für eine Hand voll Mehl.

 

Eines Morgens in diesem Winter des Jahres 1716 empfing John Law den Marquis d'Argenson in seinem Arbeitszimmer im Obergeschoss der Stadtvilla an der Place Louis-le-Grand.

»Monsieur«, lächelte John Law, »es bedarf keines Ausweisungsbefehls Ihrerseits, damit ich dieses Land verlasse. Ich werde freiwillig gehen, aus Überzeugung.«

»Ich bin nicht hergekommen, um Sie auszuweisen, Monsieur Law«, beschwichtigte ihn d'Argenson, »der Due d'Orleans schickt mich. Er hat Sie vermisst. Er ist besorgt. Er lässt mich fragen, ob es Ihnen an irgendetwas fehlt.«

John Law bat d'Argenson Platz zu nehmen und wies den Diener an, Erfrischungen zu reichen.

»Lassen Sie dem Regenten ausrichten, dass es mir an nichts fehlt. Ich bin vermögend genug, um für mich und meine Familie bis an das Ende unserer Tage zu sorgen.«

D'Argenson nickte anerkennend.

»Ich muss nicht eine Bank betreiben, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten«, fuhr John fort. »Meine privaten Finanzgeschäfte sind erfolgreich genug. Nur zu gern hätte ich auch den König an meinen Erfolgen partizipieren lassen. Allein aus diesem Grund habe ich mich über zehn Jahre um die Gründung einer Bank bemüht. Zum Wohle Frankreichs. Aber ich brauche diese Bank nicht. Ich brauche sie nicht mehr.«

D'Argenson nahm das Glas Wein, das ihm der Diener eingeschenkt hatte, in die Hand und führte es zur Nase.

»Italien«, lächelte John Law und erhob ebenfalls sein Glas, »Venedig, Turin, Mailand ... Im Süden wird mein Rat sehr geschätzt. Und ich schätze die Weine des Südens.«

Beide tranken.

»Noch ist das Trinken italienischer Weine nicht verboten«, scherzte d'Argenson, »aber Noailles ist alles zuzutrauen.«

»Was wollen Sie damit sagen, Monsieur d'Argenson?«

»Ihm ist unter Umständen sogar zuzutrauen«, sagte d'Argenson, »dass er in Ihr Bankenprojekt einwilligt. Noch zaudert er.«

John Law überlegte, versuchte eine Strategie dahinter zu erkennen, Zusammenhänge, verborgene Absichten.

»Ist das eine Einladung, erneut ein Bankenprojekt vorzustellen? Das siebenundvierzigste Bankenprojekt?«

»Eine staatliche Bank wurde verworfen, weil der Staat das Risiko getragen hätte, aber eine Privatbank, die ausschließlich mit dem Kapital von Privatpersonen gespeist wird, könnte ... ich sage: könnte ... durchaus auf Interesse stoßen.«

Im ersten Augenblick schien John Law verwirrt, doch dann glaubte er in den Aussagen von d'Argenson lediglich eine Hinhaltetaktik zu erkennen. Vielleicht plagte den Regenten das schlechte Gewissen, nachdem John Law all die Jahre derart viele Projekte überarbeitet und ohne Erfolg vorgeschlagen hatte.

»Sie brauchen mich nicht mit der vagen Aussicht auf späteren Erfolg zum Verbleiben in Paris zu bewegen, Monsieur d'Argenson. Ich habe akzeptiert, dass die Krone meine Mitarbeit nicht wünscht. Bedenken Sie aber eins, und lassen Sie das bitte auch den Regenten wissen: Als ich dem Regenten den Vorschlag unterbreitete, war ich von der Idee geleitet, mich im Staate nützlich zu machen. Nicht mein eigener Nutzen stand im Vordergrund. Dass dieser Beweggrund der Wahrheit entspricht, geht aus der Natur meines Vorschlages hervor. Hätte ich mich persönlich bereichern wollen, hätte ich nicht eine Staatsbank, eine nationale Bank unter staatlicher Aufsicht, vorgeschlagen, sondern eine Privatbank, die in meinem Besitz steht und das Privileg hat, staatliche Aufgaben im Auftrag des Königs abzuwickeln.«

D'Argenson lächelte: »Und jetzt sitze ich hier und ermuntere Sie ausgerechnet, das Projekt einer Privatbank einzureichen.«

»Ja«, entgegnete John Law.

D'Argenson lächelte: »Aber Monsieur, wenn Sie eine Privatbank vorschlagen, die Sie mit eigenem Kapital speisen, werden weder der Staatsrat noch der Finanzrat noch das Parlament dagegen sein. Nur die Finanziers. Aber die Karten der Finanziers stehen schlecht. Besonders heute Nacht.«

»Heute Nacht?«, wiederholte John Law.

»Ja, besonders heute Nacht«, sagte d'Argenson leise. Etwas Unheilvolles lag in seiner Stimme.

»Noailles macht die Finanziers für das finanzielle Desaster verantwortlich. Vor allem den petit juif unseres verstorbenen Königs. Er wirft den Finanziers vor, sie hätten für billiges Geld die Ämter gekauft, die sie berechtigen, Steuern einzutreiben. Und nur einen verschwindend kleinen Teil der eingetriebenen Steuern an die Krone abgetreten. Und sollten die Finanziers plötzlich über Nacht aus Paris verschwinden, brauchten wir dringend, sehr dringend, einen Ersatz.«

Der Diener schenkte Wein nach. Law und d'Argenson saßen sich schweigend gegenüber.

»Und ich dachte tatsächlich, Sie seien heute Morgen aufgestanden, um mich aus Paris zu vertreiben«, scherzte John Law.

»Ich habe Sie in den letzten Jahren schätzen gelernt, Monsieur. Sie haben jede Niederlage mil Würde und Anstand akzeptiert und sind nie der Versuchung erlegen, in unserem wirren politischen System zu intrigieren. Erst spät ist mir aufgefallen, dass Sie nicht für die für Sie äußerst lukrative Idee der Privatbank plädiert haben, sondern lediglich für eine Staatsbank, in der Sie eine dienende Rolle innegehabt hätten. Ich habe meine Meinung über Ihre Motive geändert, Monsieur.«

John Law bedankte sich mit einer anerkennenden Verbeugung: »Und der Due de Noailles?«

»Er schlägt nur noch wie ein Betrunkener um sich. Es geht längst nicht mehr um die Behebung einer Finanzkrise, Monsieur. Es geht um die Verhinderung einer Revolution. Das Volk will Schuldige sehen! Deshalb sollten Sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden zu Hause bleiben.«

 

Ein verwahrloster junger Mann, der lediglich mit Leinensäcken bekleidet war und seine Füße notdürftig mit Stofffetzen umwickelt hatte, riss dem Bankier Samuel Bernard die Perücke vom Kopf und setzte sie grölend auf. Bernard war rasend vor Wut. Aber er konnte sich nicht rühren. Kopf und Hände steckten in den Haltevorrichtungen des Prangers, hinter dem ein Plakat aufgehängt war: Voleurs du peuple, Dieb am Volke. Eine schadenfroh kreischende Menge hatte den Pranger umringt und bewarf nun den Bankier mit Unrat und Schmutz. Endlich konnten sie ihrem Ärger freien Lauf lassen. Endlich kriegten sie einen von diesen edlen Herren, die diskret in vierspännigen Kutschen durch Paris fuhren, in die Hände. Sie kannten diesen Samuel Bernard nicht. Sie wussten nur, dass er reich war und dass die Krone ihn dem Volk zum Fraß vorgeworfen hatte. An ihm entlud sich der ganze Zorn über ihr erbärmliches Dasein in Hunger und Armut.

Im Laufe des Nachmittags wurden weitere, bis vor kurzem noch hoch angesehene Pariser Finanziers auf den Platz geführt. Wie hungrige Wölfe lauerte die Menge und prüfte andauernd die Grenzen, die man unter den Augen der Gardepolizisten überschreiten durfte. Die Finanziers sollten den Tag überleben, aber die Lektion, die ihnen Noailles erteilte, sollte keiner je wieder vergessen. Jeder sollte sehen und begreifen, dass unter Noailles keine Tabus mehr herrschten und dass jeder angreifbar war, ganz egal, wie hoch seine Verdienste in der Vergangenheit gewesen sein mochten.

Am Abend kauerten bereits zwei Dutzend halb nackte Finanziers im Dreck. Soldaten steckter sie in Halsketten und führten sie wie Galeerensträflinge durch die Straßen. Sie alle trugen die Plakate am Hals: Voleurs du peuple.

An diesem Abend stand Antoine Crozat in seiner privaten Galerie und betrachtete ein Gemälde, das die Ankunft von Schiffen in der Neuen Welt zeigte, als ein Diener Besuch meldete. Kurz darauf erschien der Duc de Noailles.

»Ich habe Sie schon erwartet, Noailles«, sagte Crozat le Riehe, ohne seinen Blick von dem Gemälde abzuwenden.

»Ich bedaure«, begann Noailles, »was dem Bankier Samuel Bernard widerfährt.«

»Sie bedauern gar nichts, Noailles, Sie haben uns Samuel Bernard öffentlich vorgeführt. Sehr überzeugend. Jetzt können Sie Ihren Preis nennen.«

Noailles blieb vor einer Skizze von Leonardo da Vinci stehen und mimte den Kunstinteressierten. »Ihre berühmte Kunstsammlung? Ich hatte leider nie die Ehre, zu Ihren Gästen zu gehören ...«

Crozat baute sich wutentbrannt vor Noailles auf und fauchte ihn an: »Ich habe diese Sammlung in vierzig Jahren redlich erworben. Und jedes Gemälde, das ich der königlichen Sammlung abgekauft habe, wurde doppelt bezahlt! Nennen Sie Ihren Preis, Noailles, aber in Louisdor!«

»Zehn Millionen Livre«, gab Noailles trocken zurück.

»Soll ich etwa allein das Staatsdefizit tragen?«, schrie Crozat. »Bestraft man so den Tüchtigen? Sind das die Zeichen, die Sie setzen wollen? Dem Tüchtigen wird alles genommen. Erst wurden die Hugenotten vertrieben. Sie sind gegangen und haben Amsterdam zu einer blühenden Wirtschaft verholfen. Sind jetzt die Bankiers an der Reihe? Sie werden bald allein sein in Paris, Noailles, allein mit Ihrem ganzen Brigantentum. Zehn Millionen! Sie sind von Sinnen! Ich bezahle nicht für die Sottisen unseres verstorbenen Königs, für sein marodes Versailles und seine sinnlosen Kriege!«

Noailles lächelte gelassen und spitzte süffisant die Lippen: »Sie unterschätzen unsere Sorgen, Monsieur«, sprach er vornehm leise, »das Staatsdefizit wächst stündlich ins Uferlose. Deshalb haben wir im Grand Augustins eine Justizkammer eingerichtet.«

»Mit einer unterirdischen Folterkammer, habe ich mir sagen lassen«, unterbrach ihn Crozat wütend.

»Ja«, gab Noailles freimütig zu, »die eingesetzte Sonderkommission hat tatsächlich die Befugnis, Profiteure abzuurteilen und zu bestrafen. Die Blutsauger der Krone werden zur Ader gelassen!«, triumphierte Noailles. »Achttausend Menschen werden der Krone zweihundertzwanzig Millionen Livre übergeben. Ich hoffe es jedenfalls, denn wir haben zu wenig Galeeren, um all diese Blutsauger an die Riemenbänke zu ketten.«

»Drei Millionen!«, zischte Crozat.

»Wenn Sie drei Millionen zahlen«, lächelte Noailles, »wird Ihnen die Todesstrafe erspart bleiben. Dann haben Sie Anrecht auf die Galeere, zweite Reihe links. Mit Blick aufs Meer. Bei vier Millionen gewähre ich Ihnen die Gnade der Streckbank mit anschließendem Aufenthalt in der Bastille. Auf unbestimmte Zeit.«

»Sie treiben Frankreich vollends in den Ruin, Noailles! Sie hacken die Hand ab, die Sie füttert!«

»Sechs Millionen und sechshunderttausend«, entgegnete Noailles amüsiert, »das erweckt den Eindruck, wir hätten hart gefeilscht. Mein letztes Wort. Sagen Sie zu oder verabschieden Sie sich von Ihren Lieben.«

»Ich werde das Geld auftreiben«, sagte Crozat mit gepresster Stimme. »Aber verschwinden Sie jetzt aus meinem Haus!«

 

»Sechs Millionen sechshunderttausend Livre«, wiederholte John Law.

»Und das sofort.« Crozat starrte trotzig aus dem Fenster in den Innenhof von John Laws Anwesen. »Ich bürge mit meiner Gemäldesammlung.«

Ein Diener meldete die Ankunft von Saint Simon. John Law bat, ihn einzulassen. Er wandte sich an Crozat: »Sie können auf mich zählen, Monsieur. Zu groß ist der Respekt, den ich Ihren Leistungen, Ihrem Mut und Ihrer Person zolle.«

Crozat verneigte sich voller Dankbarkeit. In diesem Augenblick stürmte Saint Simon in den Salon und schwenkte eine Pariser Tageszeitung:

»Die Anarchie, Messieurs, die Anarchie bricht aus!« Er faltete die Zeitung auseinander und las: »Es ist nicht mehr möglich, in Worten auszudrücken, was für ein Elend in der Provinz herrscht. Auf dem offenen Land wimmelt es von Räubern, wir wagen es aus Angst vor Raubüberfällen, die jeden Tag geschehen, nicht, die Stadt zu verlassen. Nirgendwo sonst gibt es ein Land wie dieses, und wenn der König nicht zahlt, dann riskieren wir, dass es zu einer Revolte kommt. Zu einer großen Revolution.« Die letzten Worte hatte Saint Simon fast geschrien. »Der König kann seine Garde nicht mehr bezahlen. Die Offiziere drohen unverhohlen mit Meuterei. Und alle Finanziers fliehen ins Ausland. Das Geld flieht mit. Wir haben noch weniger Geld im Land als vor diesen unrühmlichen Schauprozessen. Allein letzte Woche sollen sich hunderte in ihren Häusern aufgehängt haben. Hunderte! Wie Zechpreller stehlen sich die Menschen aus dem Leben.«

Plötzlich ging eine Fensterscheibe zu Bruch. Steine flogen gegen die Fassade. Man hörte wütende Menschen skandieren. John Law zog seinen Degen und ging neben der Fensternische in Deckung.

»Jetzt muss ich Sie auch noch um Asyl bitten«, scherzte Crozat. Saint Simon hatte sich unter den Tisch geduckt und schaute Crozat mit großen Augen an: »Gehen Sie um Himmels willen in Deckung, Monsieur.«

Crozat schien nicht beeindruckt: »Das bin ich aus der Neuen Welt gewohnt, Monsieur le Duc.« Seelenruhig zog er seinen Degen: »Dort stehen Sie jeden Tag vor einer neuen Lage, irgendjemand trachtet Ihnen immer nach dem Leben, aber keiner will Ihnen sechs Millionen sechshunderttausend Livre abknöpfen.«

»Bezahlen Sie keinen Sous«, sagte Saint Simon, »wenden Sie sich an die Mätresse von Noailles. Sie bezahlen ihr heimlich eine halbe Million Livre, und dafür bewirkt sie bei Noailles, dass man Ihre Schuld halbiert. Das ist der aktuelle Kurs.«

Als weitere Steine flogen, kroch Saint Simon zum Kamin hinüber und verschanzte sich hinter einem umgekippten Stuhl. John Law gab der Dienerschaft, die erschreckt den Salon betreten hatte, Order, eine Wachmannschaft anzuheuern.

Crozat schritt mutig vor das Fenster und schaute auf die Straße hinaus: »Jetzt ist die Zeit reif für Ihr Bankenprojekt, Monsieur Law. Wenn selbst die Mätresse von Noailles Schutzgelder erpresst, haben wir den Tiefpunkt endgültig erreicht.«

Während er die letzten Worte aussprach, krachte eine brennende Fackel gegen das Fenster und blieb im schmiedeeisernen Fenstergitter hängen.

 

»Noailles«, schrie der Due d'Orleans, »der Schotte soll seine Bank haben!« Der Regent stand in der Dunkelheit vor dem großen Fenster im ersten Stock, das direkt über dem majestätischen Eingangsportal lag. Er sah, wie unten auf dem Platz neue Soldaten in Stellung gingen und Warnschüsse in die Luft feuerten. Jemand entzündete im Salon ein Licht.

»Licht aus!«, brüllte der Regent und fuhr herum. »Sollen wir hier alle zur Zielscheibe werden?« Sofort löschte der Diener die Kerze und schritt mit nervösen Verbeugungen rückwärt; zum Ausgang.

»Ich brauche mehr Details«, flüsterte Noailles. Jetzt trat auch er vors Fenster und schaute auf den Hof hinunter.

»Mehr Details, mehr Details. Zum Teufel, Noailles, Sie brauchen immer mehr Details. Nicht einmal Gott kann Ihnen mehr Details geben. Wollen Sie Garantien? Es gibt keine Garantien, Noailles. Wir haben keine andere Wahl mehr.«

»Darf ich sagen, was ich denke, Monsieur le Regent?«

»Ich weiß, was Sie denken, Noailles. Sie wägen das Für und Wider ab, wägen sorgfältig ab, prüfen erneut, jeden Aspekt...«

»Ich bin vorsichtig, Monsieur le Regent...«

Der Regent drehte sich nun abrupt um und schaute Noailles direkt ins Gesicht: »Sie kommen nicht vom Fleck, Noailles, wenn es nach Ihnen ginge, würden wir uns noch in den Höhlen an einem Feuer die Hände wärmen ... nein, nicht mal das Feuer hätten wir uns nutzbar gemacht. Man könnte sich ja die Hände verbrennen ...«

Wütend wandte sich der Regent erneut zum Fenster.

Noailles neigte sein Haupt: »Sie tun mir Unrecht, Monsieur le Regent. Ich versuche, Sie und die Krone lediglich vor Schaden zu bewahren.«

»Wir sind am Ende, Noailles, nachts herrscht überall Anarchie, es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Revolution ausbricht. Wenn wir nichts tun, ist alles zu Ende. Und wenn wir es mit diesem Schotten versuchen, ist vielleicht trotzdem alles zu Ende. Aber ich werde hier nicht tatenlos herumstehen und warten, bis es so weit ist. Ich werde noch etwas unternehmen! Ich werde den Schotten seine Bank gründen lassen!«

»Einen protestantischen Schotten«, seufzte Noailles, »der mit einer verheirateten Katholikin ...«

»Von mir aus kann er ein satanischer Ziegenficker mit Pferdefuß sein!«

»Verleihen Sie ihm wenigstens die französische Staatsbürgerschaft, wenn es denn sein muss ...«

 

John Law war vor Erschöpfung eingeschlafen. Fieberschweiß klebte an seiner Stirn. Er murmelte im Schlaf. Albträume. Jemand klopfte an die Tür. Er hörte es nicht. Catherine betrat das Zimmer in Begleitung des Duc d'Orleans.

»Monsieur«, flüsterte Catherine, »der Duc d'Orleans, der Regent!«

»Ich kann nicht«, murmelte John Law, »ich kann nicht spielen ... ich will nicht, dass man mich in den Salons sieht...«

Der Regent ergriff John Laws Hand: »Ich bin's, Monsieur Law, ihr Freund, Philipp d'Orleans.«

»Philipp?«, murmelte Law und öffnete unter Mühen die Augen. »Sie?« Erschöpft fielen die Augen wieder zu. Nur der Brustkorb schien sich nun stärker zu wölben, die Atmung ging schneller.

»Keine Operation ... mein Vater ist daran gestorben.«

»Ich bin Regent, Monsieur, nicht Chirurg.«

»Kein Tisch mehr«, murmelte John Law, »bloß keine Operation. Sie verbieten das Pharao Spiel. Wir nennen es um. Wir spielen >Faro<. Alles, was sie verbieten, benennen wir um. Aber bloß keine Operation.«

»Sie haben Fieber, Monsieur, Sie reden im Fieber.«

»Werde ich sterben?«, fragte John Law und riss plötzlich die Augen auf, »Sie sind gekommen, um mir Adieu zu sagen ...«

Der Regent lächelte freundlich und berührte fast zärtlich John Laws Schulter: »Wenn Sie sterben, Monsieur Law, sollen Sie wenigstens als Franzose sterben. Ich bin gekommen, um Ihnen die französische Staatsbürgerschaft zu verleihen.«

John versuchte sich aufzurichten, aber er war zu matt: »Sterben Franzosen nicht auch an Fieber?«

»Es wäre natürlich besser, Sie würden nicht nur als Franzose sterben, sondern als Katholik. Als französischer Katholik. Dann würde es sich Gott zweimal überlegen, ob er sie sterben lässt.«

»Ich wollte nur eine Bank, Monsieur. Eine Bank für Frankreich.« Catherine und der Herzog halfen John, sich aufzurichten.

»Sie sollen Ihre Bank haben, Monsieur.«

John machte eine abschätzige Handbewegung und ließ sich von Catherine ein Glas Wasser reichen. Sie half ihm beim Trinken.

»Ich habe mir gedacht, Monsieur Law of Lauriston, Sie werden Franzose und verschieben Ihren Tod auf später und gründen morgen die Bank von Frankreich.«

Mit einer heftigen Bewegung wandte sich John Law dem Regenten zu. Das Glas fiel Catherine aus der Hand.

»Mir ist nicht mehr zum Scherzen zumute, Monsieur«, keuchte John Law.

»Mir auch nicht«, erwiderte der Regent und entrollte ein Pergamentpapier. »Das hier ist die Genehmigung zur Betreibung der Banque Generale.«

»Laufzeit?«, fragte John Law blitzschnell. Jetzt schien er hellwach.

»Zwanzig Jahre.«

»Dann werde ich jetzt wohl aufstehen«, sagte John entschlossen und versuchte die Beine aus dem Bett zu schwingen. »Darf ich Banknoten ausgeben und Kredite gewähren?«

Der Herzog lächelte: »Ja. Und ich habe weiter verfügt, dass Steuern künftig in Banknoten bezahlt werden dürfen. Und wenn das nicht genügt, wird es zur nationalen Pflicht.«

John Law saß nun auf der Bettkante.

»Wenn nur Noailles ein bisschen von Ihrer Leidenschaft hätte, Monsieur«, lächelte der Regent, »aber bleiben Sie lieber noch im Bett. Wenn Sie jetzt aufstehen, wird Ihnen schwarz vor Augen, und Sie stürzen zu Boden. Und das wäre ein schlechtes Omen für die Banque Generale.«

»Ich kann mich auf Ihr Wort verlassen, Monsieur?«, fragte John Law skeptisch.

»Ja«, antwortete der Regent entschlossen, »die Zeit der Feste ist vorbei. Jetzt wird gearbeitet. Jetzt bringen wir Frankreich zu richtiger Blüte